Donnerstag, 6. Dezember 2007

Medientheorien - und wie sie sich an einem ganz normalen Sonntag auswirken

Bereits wenige Stunden nach den beiden Kurstagen über Medientheorien schien die Agenda-Setting-Theorie auf den Kopf gestellt worden zu sein, brachte doch die Sonntagszeitung - obwohl von bescheidener Auflage durchaus als "Massenmedium" zu bezeichnen - in ihrem Multimedia-Teil ein Interview mit dem Kriminologen und Ex-Justizminister Christian Pfeiffer über "Videospiele und ihre zersetzende Wirkung auf Buben".

Nun, die Hypothese, dass unsere kursinternen Diskussionen über Medienwirkungsforschung die Agenda der Sonntagszeitung beeinflusst hätten, ist natürlich mehr als gewagt und mit allergrösster Sicherheit von der Hand zu weisen. Evidenter ist jedoch, dass die Zeitung im Soge eines der Hauptereignisse der vergangenen Tage, nämlich der bis jetzt motiv- und absolut sinnlosen Erschiessung einer 16jährigen Lehrtochter durch einen 21jährigen Rekruten, der eben seine Ausbildung abgeschlossen hatte, nebst der gutschweizerischen Diskussion über Armeewaffen in der heimischen Putzkammer auch die (möglicherweise...) schädlichen Auswirkungen von Gewaltspielen thematisieren wollte.

Doch was beeinflusst unser Agenda-Setting, also die Themen, über welche wir tagsüber miteinander kommunizieren, mehr: das durch den gesellschaftlichen Kontext gegebene "Entsetzen" über ein Ereignis oder die durch solche Taten ausgelösten Medienhypes? Halt doch wieder die "Huhn und Ei"-Frage? Oder ein differenzierendes "es kommt halt drauf an"? Fest steht wohl einzig, dass die Massenmedien - längst aber nicht immer nur die! - einerseits als reiner "Sender" (womit wir den Bogen zu Shannon/Weaver schlagen können) oder "Verstärker" dienen, damit wir gewisse Meldungen überhaupt wahrzunehmen vermögen (oder wie wüsste ein Bonaduzer Bergler wie ich sonst von tödlichen Schüssen in Zürich...;-)), und dass sie natürlich in erheblichem Masse filternde Wirkung haben bezüglich der ins Unendliche strebenden Nachrichten(sint)flut - die Medien also als "Quasi-Arche", damit wir Normalsterblichen uns in diesen Fluten irgendwie über Wasser halten können.

Beim Distanzschuss des Rekruten musste ich aber auch an Virilio denken: die tödliche Kugel in unfassbar schneller Bewegung; nur einen Strich, einen Vektor beschreibend; die räumliche Wahrnehmung der durchflogenen Strecke zur Unkenntlichkeit verzerrt; einen "Nichtort" hinter sich lassend und nur einen Wimpernschlag an kostbarster Zeit - wir brauchen keine Raumplanungsämter mehr, sondern ein "Ministerium für Zeitplanung" (Virilio) - verbraucht, der über Tod und Leben entscheidet. Gerade dieses Beispiel mach jedoch deutlich, dass McLuhan wohl eigentlich Recht hat, dass in der Netzgesellschaft sowohl Ort als auch Zeit bedeutungslos werden.

Um diesen ersten Bericht abzurunden, will ich aber noch das titelgebende Zitat von Pfeiffer aufgreifen: "Die jungen Männer bringen es nicht mehr". Zum Glück bin ich nicht mehr jung, dachte ich da im ersten Moment. Letztlich reduziert sich eine solch pauschaliserende Aussage doch aber auf die Worte eines älteren Herrn, der ein wenig den guten alten Zeiten nachtrauert (früher war alles besser) und dem es schliesslich nicht gelingt, eine differenzierte wissenschaftliche Diskussion zu führen, da er Gegenargumente konsequent ausblendet bzw. bei Seite schiebt. So sei an dieser Stelle ein Lob der Sonntagszeitung ausgesprochen, welche in der gleichen Ausgabe und an gleicher Stelle einen die Aussagen relativierenden "Gegenartikel" platzierte ("Im Zweifelsfall nicht schuldig"; leider nicht online verfügbar) - im besten Sinne also hoch aggregierte Informationsvermittlung, wie wir uns dies immer von allen Medien wünschen würden, und ganz im Sinne der im Kurs besprochenen Thesen zur Medienwirkung.